Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juli 2020 - 1 StR 220/20

published on 22/07/2020 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juli 2020 - 1 StR 220/20
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 220/20
vom
22. Juli 2020
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2020:220720B1STR220.20.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 22. Juli 2020 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten S. , Sc. und E. wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 12. Dezember 2019, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO). 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen verurteilt, die Angeklagte S. zu zwei Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten Sc. zu einem Jahr und acht Monaten und den Angeklagten E. zu zwei Jahren und neun Monaten. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten Sc. in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten jeweils mit der ausgeführten Sachrüge.
2
Ihre Rechtsmittel haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
a) Das Landgericht hat bei den drogenabhängigen Angeklagten S. und Sc. jeweils als strafschärfend gewertet, dass sie „eine ungelöste Suchtproblematik“ aufweisen. Bei dem unter einer schweren Suchterkrankung leidenden Angeklagten E. , der eine „Vielzahl von stationären Entgiftungund Therapiemaßnahmen“ erfolglos durchlaufen hat, hat es strafschärfend dessen „langwierige, unbehandelte Suchtproblematik“ eingestellt. Dies ist rechts- fehlerhaft. Grundlagen der Strafzumessung sind gemäß § 46 StGB der Grad der persönlichen Schuld des Täters sowie die Schwere der Tat in ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung. Zwar kann eine etwa vorhandene Therapiebereitschaft eine strafmildernde Wirkung entfalten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 4 StR 234/17 Rn. 5 mwN). Umgekehrt aber begegnen der Wertung einer fehlenden Therapiebereitschaft als Strafschärfungsgrund dann Bedenken, wenn die Weigerung, sich therapeutischer Hilfe zu bedienen , nicht ausschließbar gerade durch die Grunderkrankung bedingt ist. So verhält es sich hier. Es ist zu besorgen, dass sich gerade die Alkohol- und Betäubungsmittelabhängigkeit der Angeklagten bei der Bemessung der Höhe der jeweiligen Freiheitsstrafe zu ihrem Nachteil ausgewirkt hat.
5
b) Bezüglich des Angeklagten Sc. kann der Strafausspruch aus einem weiteren Grund keinen Bestand haben. Die Strafkammer unterstellt zwar im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinn zu seinen Gunsten, dass nach seiner Einlassung (die sie allerdings im Rahmen der Beweiswürdi- gung als „beschönigend“ und Schutzbehauptunggewertet hat, UA S. 28 f.) er und nicht der Mitangeklagte G. deeskalierend auf den Angeklagten E. einwirkte (UA S. 20, 46). Bei der Prüfung, ob der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB gegeben ist, führt sie aber gegen die Annahme einer rechtlich erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit infolge seiner Alkoholisierung dieses deeskalierende Verhalten an (UA S. 40 f.). Dies ist rechtsfehlerhaft ; denn der Zweifelssatz darf nicht so angewendet werden, dass er sich an anderer Stelle zu Lasten des Täters auswirkt (Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 20 Rn. 67, vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 5. März 2013 – 5 StR25/13 Rn. 6 mwN). Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten Sc. ausgewirkt hat. Der Strafausspruch bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
6
c) Da nicht auszuschließen ist, dass die Strafkammer noch Feststellungen dazu treffen kann, wer tatsächlich auf die genannte Weise deeskaliert hat, hebt der Senat auch die dem Strafausspruch zugehörenden Feststellungen auf.
7
2. Die Entscheidung über die Ablehnung der Unterbringung der Angeklagten S. und E. in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) bzw. deren Anordnung bei dem Angeklagten Sc. weisen auf der Grundlage der Feststellungen keine Rechtsfehler auf. Sie bleiben daher von der Aufhebung ausgenommen.
VRiBGH Dr. Raum befindet Jäger Fischer sich im Urlaub und ist deshalb gehindert, zu unterschreiben. Jäger
Bär Hohoff

Vorinstanz:
Karlsruhe, LG, 12.12.2019 - 120 Js 16380/19 4 KLs
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
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published on 21/05/2020 21:58

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 234/17 vom 20. Juni 2017 in der Strafsache gegen wegen Diebstahls ECLI:DE:BGH:2017:200617B4STR234.17.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführe
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.