Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Feb. 2015 - 4 StR 498/14

originally published: 22/05/2020 00:16, updated: 11/02/2015 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Feb. 2015 - 4 StR 498/14
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR498/14
vom
11. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 11. Februar 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landau vom 9. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
a) Die Urteilsgründe belegen nicht, dass bei dem Angeklagten zur Tatzeit eine schwere andere seelische Abartigkeit vorgelegen hat.
4
aa) Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine schwere andere seelische Abartigkeit mit der Begründung bejaht, der Angeklagte leide an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, die bei ihm noch durch einen multiplen Substanzgebrauch, den Konsum anderer Substanzen bei bestehendem Abhängigkeitssyndrom (Polytoxikomanie, ICD-10: F 19.2) und einen Alkoholmissbrauch im Sinne eines schädlichen Gebrauchs (ICD-10: F 10.1) verstärkt werde. Die persönliche Entwicklung des Angeklagten sei durch eine dauernde Missachtung von Normen und Gesetzen, eine geringe Frustrationstoleranz sowie ein fehlendes Lernen aus Erfahrung gekennzeichnet. Auffälligkeiten im Lebenslauf seien bereits seit seiner frühen Jugend festzustellen (Vernachlässigung und Übergriffe durch den Vater, Schulverweis, kein Schulabschluss, keine Berufsausbildung, keinerlei Durchhaltevermögen, keine Lebensplanung, mehrfache Delinquenz, keine tragfähigen Bindungen, Abgleiten in die Abhängigkeit und Drogenkonsum). Aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung sei der Angeklagte zu emotionalem Tiefgang und Empathie nicht in der Lage (UA 32 f.).
5
bb) Diese Begründung reicht für die Annahme einer anderen schweren seelischen Abartigkeit nicht aus.
6
Eine diagnostizierte Persönlichkeitsstörung kann – wie auch das Landgericht nicht verkannt hat – die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nur dann begründen, wenn sie Symptome aufweist, die in ihrer Ge- samtheit das Leben eines Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, Rn. 27, NJW 2014, 3382, 3384; Urteil vom 26. April 2007 – 4 StR 7/07, NStZ-RR 2008, 274; Beschluss vom 21. September 2004 – 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326, 327; Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f.; Beschluss vom 21. Oktober 1998 – 3 StR 416/98; NStZ-RR 1999, 136 mwN). Handelt es sich – wie bei der hier diagnostizierten „dissozialen Persönlichkeitsstörung“ – um ein eher unspezifisches Störungsbild, das immer auch noch als – möglicherweise extreme – Spielart menschlichen Wesens einzuordnen sein kann, wird der Grad einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ regelmäßig erst dann erreicht, wenn der Täter aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 4 StR 358/07, NStZ-RR 2008, 70, 71; Beschluss vom 25. Februar 2003 – 4 StR 30/03, NStZ-RR 2003, 165, 166; Beschluss vom 6. Februar 1997 – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385, 388).
7
Nach den bisher getroffenen Feststellungen ist nicht erkennbar, dass die festgestellten Auffälligkeiten in der Person des Angeklagten dem Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit entsprechen und es sich nicht nur um Eigenschaften und Verhaltensweisen handelt, die übliche Ursachen für strafbares Verhalten darstellen. Ebenso wenig wird belegt, dass der Angeklagte aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat.
8
b) Auch die Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB ist nicht ausreichend begründet.
9
aa) Das Landgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, die Hemmschwelle des Angeklagten für die Begehung von Aggressionshandlungen sei im Tatzeitpunkt aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur in Kombination mit dem kontinuierlichen Drogenmissbrauch erheblich herabgesetzt gewesen. Seine Motivations -, Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten seien bei Tatbegehung soweit eingeschränkt gewesen, dass er ohne Rücksicht auf die Interessen anderer und möglicher Folgen seines Handelns für sich und andere seine eigenen Ziele nachhaltig verfolgt habe (UA 36).
10
bb) Diese Erwägungen reichen nicht aus, um das Vorliegen einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit infolge einer schweren anderen seelischen Abartigkeit zu belegen.
11
Ob die Steuerungsfähigkeit wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat „erheblich“ im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten hat. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (BGH, Urteil vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, Rn. 29, NJW 2014, 3382, 3384 mwN). Dazu hat der Tatrichter in einer Gesamtbetrachtung die Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung zu bewerten, wobei auch Vorgeschichte, unmittelbarer Anlass und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 53 f. mwN).
12
Den hierzu angestellten Erwägungen des Landgerichts fehlt jegliche tatbezogene Betrachtung. Auch bleiben die Tatvorgeschichte (längere Suche nach und planmäßige Kontaktaufnahme zu der Geschädigten) und das Verhalten des Angeklagten nach der Tat unberücksichtigt.
13
2. Der Strafausspruch kann bestehen bleiben.
14
a) Soweit die Strafkammer aufgrund der dargelegten rechtsfehlerhaften Wertung die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und unter Verbrauch des vertypten Strafmilderungsgrundes die Strafe dem Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB entnommen hat (UA 36), ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 4 StR 358/07, zitiert nach juris, Rn. 7, insoweit in NStZ-RR 2008, 70 nicht abgedruckt). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat auszuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. April 2014 – 2 StR 602/13, zitiert nach juris, Rn. 6).
15
b) Im Übrigen weist die Strafzumessung keine durchgreifenden Rechtsfehler auf. Zwar sind die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 3b StGB nicht belegt, weil nach den Feststellungen nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte dem Geschädigten die zu der lebensbedrohlichen Hirnblutung führenden Kopfverletzungen (UA 28) erst nach Vollendung der Erpressung und ohne Beutesicherungsabsicht beigebracht hat (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 250 Rn. 27). Der Senat kann jedoch ausschließen, dass der Strafausspruch hierauf beruht. Denn dem Angeklagten ist nicht angelastet worden, dass er beide Varianten des § 250 Abs. 2 Nr. 3 StGB verwirklicht hat.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.