Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 22. Sept. 2017 - L 16 AS 655/17 B ER

originally published: 28/05/2020 02:29, updated: 22/09/2017 00:00
Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 22. Sept. 2017 - L 16 AS 655/17 B ER
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Sozialgericht Augsburg, S 8 AS 852/17 ER, 30/08/2017

Gericht

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Tenor

I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 30. August 2017 aufgehoben.

II. Die Rechtssache wird an das Sozialgericht Augsburg zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab dem 01.08.2017 streitig.

Am 01.08.2017 stellte der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) beim Sozialgericht Augsburg einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Bis zum 31.07.2017 habe der Antrags- und Beschwerdegegner (Bg) keine Leistungen ausbezahlt, weil er seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei. Er habe Unterlagen vorlegen sollen. Dies habe er getan. Er habe keine Leistungen erhalten und wisse nicht, wie er seinen Lebensunterhalt bestreiten solle. Es seien auch finanzielle Schäden entstanden, da sein Konto für die Abbuchungen zum Monatsersten nicht gedeckt gewesen sei. Er könne seine Miete nicht rechtzeitig überweisen. Er legte ein Aufforderungsschreiben des Bg vom 25.07.2017 vor, wonach unter Fristsetzung bis zum 11.08.2017 der Rahmenvertrag mit der Firma E. und eine ausgefüllte und unterschriebene Anlage EKS für die Tätigkeit bei der Firma Z. vorzulegen sei.

Der Bg führte in seiner Stellungnahme vom 01.08.2017 aus, dass der Bf am 14.07.2017 die Weitergewährung der Leistungen ab dem 01.08.2017 beantragt habe. Am 24.07.2017 habe er einen ab dem 06.07.2017 geltenden Arbeitsvertrag bei der Firma Z. vorgelegt. Mit Schreiben vom 24.07.2017 sei er aufgefordert worden, Nachweise zu den zu bezahlenden Stromabschlägen, die Anlage KDU sowie lückenlose Kontoauszüge ab dem 01.06.2017 vorzulegen. Kontoauszüge und die Anlage KDU seien nicht vorgelegt worden.

Hierauf forderte das Sozialgericht den Bf auf, die angeforderten Unterlagen vorzulegen, hierfür bedürfe es keiner gerichtlichen Hilfe. Nach Vorlage der Nachweise werde die Leistungsbewilligung durch das Jobcenter erfolgen, daher werde angeregt, den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückzunehmen.

Auf dieses Schreiben hin beantragte der Bf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt D. Z.. Er habe alle angeforderten Unterlagen fristgerecht und vollständig abgegeben.

Mit Schreiben vom 21.08.2017 übermittelte der Bg den Abdruck des Bescheides vom 21.08.2017 über die vorläufige Bewilligung von Leistungen für die Zeit von August 2017 bis Januar 2018 in Höhe von monatlich 564,85 €. Hierbei wurde ein monatliches Einkommen von 300,30 € (bereinigt 160,24 €) berücksichtigt.

Daraufhin forderte das Sozialgericht mit Schreiben vom 24.08.2017 (Donnerstag) den Bf auf innerhalb von drei Werktagen mitzuteilen, ob sich der Eilantrag erledigt habe. Das Schreiben wurde mit einfachem Brief an den Bf versandt.

Am 30.08.2017 lehnte das Sozialgericht Augsburg den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab, ohne die Verwaltungsakten des Bf beizuziehen. Der Antrag sei abzulehnen, da davon auszugehen sei, dass sich das Begehren des Bf inzwischen durch die Bewilligung der Leistungen erledigt habe. Ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei nicht erkennbar. Es fehle offenbar auch die Eilbedürftigkeit, weil auf die Nachfrage des Gerichts keine Reaktion erfolgt sei.

Mit Schreiben vom 27.08.2017, beim Sozialgericht am 31.08.2017 eingegangen, wandte sich der Bf gegen die Anrechnung von Einkommen, da er keine Einkünfte von der Firma E. habe.

Am 05.09.2017 hat der Bf Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht erhoben. Das Sozialgericht habe den Rechtsschutz abgelehnt, dass er am 21.07.2017 einen Bewilligungsbescheid erhalten habe. Er sei der Auffassung des dies keinesfalls statthaft sei. Er habe bis heute einen um etwa 150 € monatlich gekürzten Betrag erhalten. Die im Beschluss aufgestellte Behauptung, er habe auf Nachfrage des Gerichts nicht reagiert sei sachlich falsch. Das Gericht habe den Gegenstand des Rechtsschutzbegehrens durch Auslegung zu ermitteln. Es obliege nicht ihm als rechtsunkundigem Antragsteller, eine juristisch exakte Formulierung zu tätigen. Die hier getroffene Auslegung verkenne den erkennbaren Gegenstand des Eilrechtsschutzbegehrens. Im Zweifel hätte mit einer Anforderung von Unterlagen weitere und auch abschließende Klarheit geschaffen werden können. Ohne diese Anforderung bzw. abschließende Klärung zur Wahrung des Rechtsschutzes sei die Entscheidung rechtswidrig.

Der Bg hat mit Schriftsatz vom 14.09.2017 zur Beschwerde Stellung genommen und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Es bestünden hinsichtlich der Entscheidung des Sozialgerichts Augsburg keine Bedenken.

Aus den vom Senat beigezogenen Verwaltungsakten des Bg ergibt sich, dass die Firma Z. den mit dem Bf abgeschlossenen Arbeitsvertrag bereits am 26.07.2017 gekündigt hat. In der vom Bf ausgefüllten Anlage EKS zu seiner Tätigkeit als Handelsvertreter („suche Interessenten für Produkte der Firma E.“) hat dieser angegeben, dass er monatliche Betriebseinnahmen von 350 € habe, bei monatlichen Betriebsausgaben zwischen ca. 170 € bis 470 €. Der Bf hat für die Zeit von August 2017 bis Januar 2018 einen Gesamtgewinn von 1672,26 € angenommen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Bg sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz-SGG) ist zulässig. Sie ist insbesondere nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft.

Die Beschwerde ist im Sinne der Zurückverweisung an das Sozialgericht begründet. Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG liegen vor. Das Sozialgericht hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.

Nach § 159 Abs. 1 SGG steht die Zurückverweisung im Ermessen des Senats, wobei die Vorschrift des § 159 SGG auf das Beschwerdeverfahren und das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit der Maßgabe entsprechend anwendbar ist, dass zu prüfen ist, ob die Zurückverweisung unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit sachgerecht ist (Beschluss des Senatsvom 08.04.2016, L 16 AS 203/16 B ER; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29.04.2014, L 7 AS 260/14 B ER; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.06.2016, L 7 AS 1068/16 B ER, m.w.N.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 159, Rn. 1a).

Nach Abwägung aller Umstände ist der Senat im Rahmen des ihm nach § 159 Abs. 1 SGG zustehenden Ermessens zu dem Ergebnis gelangt, den Rechtsstreit gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG an das Sozialgericht zurückzuverweisen. Bei der Ausübung des Ermessens hat sich der Senat unter Berücksichtigung der Prozesswirtschaftlichkeit, des Beschleunigungsgebotes und der Effektivität des Rechtsschutzes sowie der Einbeziehung der berechtigten Interessen des Bf zur Zurückverweisung entschieden (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 8). Maßgeblich hierfür ist, dass dem Bf andernfalls entgegen der gesetzlichen Ausgestaltung des Instanzenzugs eine Instanz im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entzogen würde, in der sein Begehren in rechtstaatlicher und prozessordnungsgemäßer Weise geprüft wird.

Das Sozialgericht hat das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses verneint und dies damit begründet, dass der Bf inzwischen Leistungen erhalten habe und nicht innerhalb der mit gerichtlichem Schreiben vom 24.08.2017 gesetzten Frist geantwortet habe. Das fehlende Rechtsschutzbedürfnis wurde angenommen, ohne zu prüfen oder zur Kenntnis zu nehmen, was Streitgegenstand des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes ist, so dass es sich um eine Entscheidung ins Blaue hinein handelt. Dabei hat das Sozialgericht es unterlassen die Verwaltungsakten des Bg beizuziehen, und das rechtliche Gehör des Bf verletzt (§ 62 SGG). Das Sozialgericht hat eine Frist von drei Werktagen gesetzt. Das Schreiben wurde mit einfacher Post an den Bf gesandt. Weil die Antwort des Bf nicht innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist eingegangen ist, hat das Sozialgericht auf ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis geschlossen, und dabei unbeachtet gelassen, dass es dem Bf unter Berücksichtigung der Postlaufzeiten kaum möglich war, fristgerecht zu antworten.

Nach Zurückverweisung wird das Sozialgericht die Aufgabe haben, die Verwaltungsakten beizuziehen, den Streitgegenstand herauszuarbeiten und den wesentlichen Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen (vgl. hierzu bereits Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 24.05.2017, L 7 AS 370/17 B ER).

Das Sozialgericht wird bei seiner Entscheidung über die Kosten des Verfahrens insgesamt zu befinden haben.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

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(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialger

Annotations

(1) Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Vertagungsbeschlüsse, Fristbestimmungen, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen und Sachverständigen können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Die Beschwerde ist ausgeschlossen

1.
in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte,
2.
gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn
a)
das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint,
b)
in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte oder
c)
das Gericht in der Sache durch Beschluss entscheidet, gegen den die Beschwerde ausgeschlossen ist,
3.
gegen Kostengrundentscheidungen nach § 193,
4.
gegen Entscheidungen nach § 192 Abs. 4, wenn in der Hauptsache kein Rechtsmittel gegeben ist und der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro nicht übersteigt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Das Landessozialgericht kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn

1.
dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden,
2.
das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

(2) Das Sozialgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.