Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2017 - IV ZR 506/15
Gericht
BUNDESGERICHTSHOF
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann, die Richterinnen Dr. Brockmöller und Dr. Bußmann
am 27. September 2017
beschlossen:
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen eines Monats Stellung zu nehmen.
Gründe:
- 1
- I. Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin, im Folgenden: d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden: Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung und Herausgabe von Nutzungen.
- 3
- Mit Schreiben vom 22. Februar 2012 und vom 9. März 2012 erklärte d. VN den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F., hilfsweise die Kündigung des Versicherungsvertrages. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert aus.
- 4
- Mit der Klage hat d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts verlangt, insgesamt 3.996,18 €.
- 5
- Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Der Versicherer habe sie nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.
- 6
- Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat ihr auf die Berufung d. VN in Höhe von 1.573,15 € nebst Zinsen stattgegeben und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision erstrebt der Versicherer die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
- 7
- II. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat d. VN aus ungerechtfertigter Bereicherung Anspruch auf Rückzahlung der Versiche- rungsprämien. D. VN habe dem Vertragsschluss noch mit Schreiben vom 22. Februar 2012 widersprechen können. Die Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. sei nicht wirksam in Gang gesetzt worden. Es könne dahingestellt bleiben, welche Widerspruchsbelehrung d. VN erhalten habe. Die von der Beklagten vorgelegte Widerspruchsbelehrung sei nicht in drucktechnisch deutlicher Form hervorgehoben. Auf der Rückseite der Police sei das Widerspruchsrecht unter der allgemeinen Überschrift "Wichtige Hinweise" im gleichen Druck wie die anderen Hinweise enthalten, es falle nicht ins Auge. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sei europarechtswidrig und daher nicht anwendbar.
- 8
- Eine Verwirkung des Widerspruchsrechts sei nicht eingetreten. Die Berufung auf das Widerspruchsrecht verstoße nicht gegen Treu und Glauben, obwohl der Vertrag jahrelang durchgeführt und auch als Kreditsicherheit verwendet worden sei. Bei einer fehlerhaften Widerspruchsbelehrung fehle es an dem erforderlichen Umstandsmoment. Es sei auch nicht ersichtlich, dass d. VN den Versicherungsvertrag noch als Kreditsicherheit verwendet habe, nachdem sie von ihrem noch bestehenden Widerspruchsrecht erfahren habe. D. VN könne somit die gezahlten Prämien und die tatsächlich gezogenen Nutzungen aus ungerechtfertigter Bereicherung herausverlangen und müsse sich den bereits gezahlten Betrag anrechnen lassen.
- 9
- III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
- 10
- 1. Das Berufungsgericht hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordere. Verschiedene Oberlandesgerichte hätten mittlerweile auch in Fällen mit nicht ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung Verwirkung des Rechts auf Widerspruch angenommen. Allerdings hat das Berufungsgericht diesbezüglich keinen Rechtssatz aufgestellt, der sich mit einem in einer Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 293). Zudem hat der Senat bereits entschieden, dass allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlende Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. einer Anwendung von § 242 BGB entgegensteht, nicht aufgestellt werden können und die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall grundsätzlich dem Tatrichter obliegt (Senatsbeschluss vom 11. November 2015 - IV ZR 117/15, juris Rn. 16). Dies gilt auch in Bezug auf eine fehlende oder fehlerhafte Belehrung über das Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.
- 11
- 2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat d. VN ohne Rechtsfehler Ansprüche auf Rückzahlung der Prämien und auf Herausgabe von Nutzungen aus ungerechtfertigter Bereicherung zuerkannt.
- 12
- a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalt keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
- 13
- aa) Entgegen der Auffassung der Revision ist das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht belehrt habe. Es hat offen gelassen, ob d. VN gemäß dem von der Beklagten vorgelegten Muster über das Widerspruchsrecht belehrt wurde, und im Einzelnen dargelegt, dass diese Belehrung nicht in drucktechnisch deutlicher Form hervorgehoben sei. Diese Würdigung lässt auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens keine revisionsrechtlich beachtlichen Fehler erkennen.
- 14
- In einem solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung bestand das Widerspruchsrecht auch nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17 ff.).
- 15
- bb) Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg gegen die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass d. VN das Widerspruchsrecht nicht verwirkt habe. Zwar können auch in Fällen einer fehlerhaften Widerspruchsbelehrung die Geltendmachung des Widerspruchsrechts und das Verlangen nach einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Versicherungsvertrages nach Treu und Glauben unzulässig sein. Dementsprechend hat der Senat bereits tatrichterliche Entscheidungen gebilligt, die in Ausnahmefällen mit Rücksicht auf besonders gravierende Umstände des Einzelfalles auch dem nicht oder nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer die Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs nach § 242 BGB verwehrt haben (Senatsbeschlüsse vom 27. Januar 2016 - IV ZR 130/15, r+s 2016, 230 Rn. 16; vom 11. November 2015 - IV ZR 117/15, juris Rn. 17). Allein den einmaligen Einsatz der Lebensversicherung als Kreditsicherungsmittel musste das Berufungsgericht nicht, wie die Revision meint, als besonders gravierenden Umstand werten, der d. VN die Geltendmachung ihres Anspruchs verwehrt. Der Einsatz der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zur Sicherung der Rechte eines Dritten aus einem Darlehensvertrag lässt keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass d. VN in Kenntnis seines Lösungsrechtes vom Vertrag an diesem festgehalten und von seinem Recht keinen Gebrauch gemacht hätte. Ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrages etwa bei einem - hier nicht gegebenen - engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung oder einer - hier nicht vorliegenden - mehrfachen Abtretung angenommen werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Januar 2016 - IV ZR 130/15 aaO Rn. 16), bleibt der tatrichterlichen Beurteilung vorbehalten (Senatsurteil vom 1. Juni 2016 - IV ZR 482/14, VersR 2017, 275 Rn. 24). Diese ist hier aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
- 16
- b) Gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Berechnung des Anspruchs auf Prämienerstattung und auf Herausgabe von Nutzungen erhebt die Revision - zu Recht - keine Einwände.
Dr. Brockmöller Dr. Bußmann
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 17.03.2015- 158 C 7205/14 -
LG München I, Entscheidung vom 15.10.2015- 26 S 6543/15 -
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Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.
(1) Der Versicherungsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen widerrufen. Der Widerruf ist in Textform gegenüber dem Versicherer zu erklären und muss keine Begründung enthalten; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.
(2) Die Widerrufsfrist beginnt zu dem Zeitpunkt, zu dem folgende Unterlagen dem Versicherungsnehmer in Textform zugegangen sind:
- 1.
der Versicherungsschein und die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die weiteren Informationen, die nach der VVG-Informationspflichtenverordnung mitzuteilen sind, und - 2.
eine deutlich gestaltete Belehrung über das Widerrufsrecht und über die Rechtsfolgen des Widerrufs, die dem Versicherungsnehmer seine Rechte entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels deutlich macht und die den Namen und die ladungsfähige Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, sowie einen Hinweis auf den Fristbeginn und auf die Regelungen des Absatzes 1 Satz 2 enthält.
(3) Das Widerrufsrecht besteht nicht
- 1.
bei Versicherungsverträgen mit einer Laufzeit von weniger als einem Monat, - 2.
bei Versicherungsverträgen über vorläufige Deckung, es sei denn, es handelt sich um einen Fernabsatzvertrag im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 3.
bei Versicherungsverträgen bei Pensionskassen, die auf arbeitsvertraglichen Regelungen beruhen, es sei denn, es handelt sich um einen Fernabsatzvertrag im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 4.
bei Versicherungsverträgen über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2.
(4) Die nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 zu erteilende Belehrung genügt den dort genannten Anforderungen, wenn das Muster der Anlage zu diesem Gesetz in Textform verwendet wird. Der Versicherer darf unter Beachtung von Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 von dem Muster abweichen. Beschränkt sich die Abweichung unter Beachtung von Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 auf Format und Schriftgröße oder darauf, dass der Versicherer Zusätze wie die Firma oder ein Kennzeichen des Versicherers anbringt, so ist Satz 1 anzuwenden.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.